Die errungene Freiheit muß man schützen
vor denen, die sie uns wieder nehmen wollen
Laudatio für Dr. Norbert Blüm
von
Robert S. Minton
Guten Tag, meine Damen und Herren. Besonders begrüße ich
Sie,
Herr
Dr. Blüm. Es ist wirklich eine Freude, heute hier in Leipzig zu sein
und
auf dieser Veranstaltung dies zu sprechen. Mehr noch, es ist mir eine
große
Ehre, als Empfänger der Auszeichnung letztes Jahr, die Laudatio
für
Sie, Dr. Blüm, zu halten und Ihnen den Leipziger Menschenrechtspreis
2001
zu überreichen.
Diesen Menschenrechtspreis gibt es erst seit einem Jahr. Er wurde als
der “Alternative
Karlspreis” ins Leben gerufen, weil das Komitee darauf hinweisen wollte,
daß
die europäischen Werte, für die der Original-Karlspreis steht,
nicht
vereinbar sind mit der Unterstützung für die totalitäre
Scientology-Organisation,
die der damalige US-Präsident Clinton gegeben hat.
Als Leipzig ausgewählt wurde als Ort der Preisverleihung, bekam
die
Sache
zusätzliche Bedeutung, sowohl für das Europäisch-
Amerikanische
Komitee für Menschenrechte und Religionsfreiheit als auch für
mich.
Denn Leipzig ist der Platz, wo die Freiheit in Ostdeutschland
wiedergeboren
wurde.
Wir befinden uns hier nur einen Steinwurf weit von der Nikolaikirche. Dort
begann
der Ruf nach Freiheit in Ostdeutschland erst mit nur einer Handvoll
Leuten.
Die
aber wuchsen zu Hunderten und schließlich Hunderttausenden, die in
den Straßen,
die dies alte Gebäude umgeben, für die Freiheit
demonstrierten.
Diese Ereignisse, die hier in Leipzig vor nicht allzulanger Zeit
stattfanden,
zeigen deutlich, daß es immer harte Arbeit ist, die Freiheit zu
erringen
und daß dies Mut und Opferbereitschaft fordert. Wir wissen ebenso
aus
der
geschichtlichen Erfahrung, daß man die Freiheit, die man erreicht
hat, schätzen
und pflegen muß und schützen muß vor denen, die sie uns
wieder
nehmen wollen.
Dr. Blüm, sie sind ein visionärer Politiker und Vorbild und
haben
ein klares Gefühl für die Lehren der Geschichte bewiesen. Vor
mehr als
20 Jahren wurden fast alle Probleme mit den modernen Sekten und Kulten als
rein
individuell oder psychisch bedingt angesehen. Sie haben damals
festgestellt, daß
wir es mit einer politischen Herausforderung zu tun haben. Viele Leute,
vor
allem
auch Politiker in den Vereinigten Staaten, müssen diese Ihre sehr
wichtige
Feststellung erst noch begreifen.
Im Januar 2000 habe ich in Clearwater/Florida eine Organisation
gegründet,
die Lisa McPherson Trust heißt. Wenn ich jetzt durch die Straß
en in
der Innenstadt von Clearwater gehe, mitten unter Hunderten von
Scientology-
Sea-Org-
Mitgliedern, werde ich immer wieder an etwas erinnert, was Adolf Hitler
schon
1929 als die große Sache, das großartige Charakteristikum
seiner Bewegung
ansah. Was Hitler als so großartig empfand war, daß
sechzigtausend
Mann “äußerlich fast eine Einheit geworden sind. Und daß
diese
Mitglieder der Bewegung nicht nur einheitlich in ihren Ideen sind, sondern
daß
sogar der Gesichtsausdruck fast der selbe ist. Schauen Sie auf diese
lachenden
Augen, diesen fanatischen Enthusiasmus und sie werden entdecken... wie
hunderttausend
Mann in einer Bewegung zu einem einzigen Menschentyp werden”. [Rü
ckübersetzung
aus dem Englischen]

Robert S. Minton
Foto: Claudia Bartels |
Daß der Lisa McPherson Trust umgeben ist von der Sea Org in
Clearwater,
das ist manchmal richtig unheimlich, aber es ist auch ein Segen. Es ist
ein
Segen,
weil unsere bloße Anwesenheit das wichtigste Element dieser
totalitären
Organisation unterminiert, nämlich die Isolation der scientologischen
künstlichen
Welt von der Wirklichkeit. In den 18 Monaten, die wir nun in Clearwater
sind,
mü ssen wir ständig Scientologys Geschrei von religiöser
Verfolgung
und ihre Forderung von Freiheit und Toleranz hören. Dieselben
Forderungen
hören wir von Scientology z.Zt. auch in Europa. In diesem
Zusammenhang
möchte
ich alle Anwesenden einmal etwas fragen. Wer machte 1981 das folgende
Statement:
“Die Feinde der Freiheit sind es, die heute selbst nach Freiheit und
Toleranz
rufen. ... Solche Freiheitsmanifeste sind nur Masken von Sklaverei und
Terror.
... Auch religiöse Gruppen oder solche, die sich so nennen, kö
nnen totalitär
sein, und ich höre deshalb Botschaften von Weltregierungsambitionen
und Welterlösungen
mit Mißtrauen, vor allem, wenn sie sich mit dem Streben nach
wirtschaftlicher
Macht verbinden. Wir wollen eine freie Gesellschaft bleiben.”
Ja, ich glaube, wir alle haben richtig geraten: Es war Dr. Blüm,
der dies
gesagt hat. Diese Ihre Stellungnahme, Dr. Blüm, schuf Klarheit und
führte
eine politische Dimension ein in die Beschäftigung mit dem Phä
nomen
der destruktiven Kulte. Als Sie das Konzept des Totalitarismus schon sehr
früh
in die Debatte über destruktive Kulte einbrachten, haben sie uns
Zeitgenossen
befähigt zu verstehen, daß die Ziele dieser Gruppierungen die
Transformation
und Unterwerfung, ja Versklavung der Natur des Menschen selbst ist. So
etwas ist
nicht hinnehmbar in einer demokratischen Gesellschaft, denn hier gilt: Wir
können
nur gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft sein auf der Grundlage
unserer gemeinsamen,
festen Entscheidung, uns gegenseitig auch gleiche Rechte zu
garantieren.
Sie haben meine Wertschätzung nicht nur, weil sie ein
entschiedener
Verfechter
der Menschenrechte, der Arbeitnehmerrechte und der demokratischen
Grundwerte sind,
sondern auch wegen Ihrer Eindeutigkeit, mit der Sie Scientologys neue Form
von
Totalitarismus aufdecken, der sich tarnt im Schafspelz von Religion und
Psychotherapie.
Aber da ist noch mehr: Durch Ihr Beispiel und Ihren Schutz haben Sie
andere
befähigt,
sich offen und kritisch zu äußern.
Die Mitglieder des Komitees und auch ich selbst sind Ihnen auch dankbar
dafür,
daß sie die Schirmherrschaft für das Osteuropa-Seminar des
Dialog Zentrum
Berlin 1996 übernommen haben. Diese Konferenz hat eine wichtige Rolle
dabei
gespielt, Aufmerksamkeit für die neue Gefahr der Kulte in den post-
totalitä
ren Gesellschaften Mittel- und Osteuropas zu schaffen. Sie haben viele
Male
offen
gezeigt, daß Sie daran glauben, daß öffentliches Amt und
staatsbürgerliches
Engagement notwendigerweise zusammengehören und ihre Einmischung und
Schirmherrschaft
war besonders wichtig für viele unserer Freunde und Partner in
Rußland
und Osteuropa.
Und schließlich, Dr. Blüm noch etwas. Schon 1981 sagten Sie:
“Ganz
gewiß einig sind wir uns dabei, was immer unser Werturteil über
die
neuen Kulte sein mag, keinerlei Abstriche an der Toleranzgarantie des
Artikels
4 unserer Verfassung [Meinungs- Gewissens- und Bekenntnisfreiheit, also
Religionsfreiheit]
zuzulassen. Daran halten wir unverbrüchlich fest. Ich füge aber
hinzu,
daß jede Organisation, die diese Toleranz für sich in Anspruch
nimmt,
ihrerseits die ebenfalls im Grundgesetz verankerte Würde des Menschen
und
die freie Entwicklung der Persönlichkeit zu respektieren hat. Das
gilt
bekanntlich
nicht nur für den Staat. Es gibt auch eine Drittwirkung der
Grundrechte.”
Ich füge zur Erklärung ein: Das heißt, die Grundrechte
sind
nicht
nur dazu da, um den Bürger vor der Einmischung des Staates zu
schützen,
sondern der Staat muß auch den einzelnen Bürgen gegen Eingriffe
von
dritter Seite schützen, die die Rechte des Individuums beeinträ
chtigen
können z.B. im Falle von Krieg, Betrug durch Geschä
ftsunternehmen
oder
eben auch Kulte. Und Sie führten fort: “Die Freiheit zum religiö
sen
Bekenntnis gehört zur Basis unserer freiheitlichen Kultur. Wir wollen
nicht,
daß dieser Freiraum zum Dschungel wird.”
Dr. Blüm, Sie sind ein Beschützer der Freiheiten und der
demokratischen
Ideale. Sie haben sich selbst ausgezeichnet durch Ihren selbstlosen ö
ffentlichen
Dienst für Ihr Land und ihre Mitbürger. Sie haben sich
ausgezeichnet
durch die Klarheit Ihres Denkens und Ihre Einsicht in die Gefahren, denen
wir
gegenü berstehen. Sie haben sich ausgezeichnet durch Ihren Mut, offen
über
das Problem der destruktiven Kulte zu sprechen als niemand anderes das
tat.
Wir danken Ihnen voller Respekt mit diesem Preis, der ein Ausdruck
unserer
größten Hochachtung ist für alles, was sie getan haben, um
die
Sache der Freiheit zu fördern und die Menschenrechte aller Mitbü
rger
zu schützen.
Herzlichen Dank, Dr. Blüm!
Text der Urkunde |
Am 10. Juni 2001 wurde in
Leipzig
der Menschenrechtspreis des
Europäisch-Amerikanischen Bürgerkomitees für Menschenrechte
und
Religionsfreiheit in den USA an den Bürger der Bundesrepublik
Deutschland
Bundesminister a.D. Dr. Norbert Blüm
verliehen
• in Anerkennung seiner deutlichen Worte und Taten, mit denen er die
Opfer
der Scientology- Organisation ermutigt und unterstützt hat und damit
Maßstäbe
für Politikerinnen und Politiker aller Parteien gesetzt hat;
• in Würdigung seines Mutes, sich mit dem neuen Totalitarismus der
Scientology-
Organisation öffentlich auseinanderzusetzen und sich damit für
die Verteidigung
der Menschenrechte und die Erhaltung der Religions- und Meinungsfreiheit
in
Europa
und Nordamerika stark zu machen;
• und als Ausdruck unserer Unterstützung für alle Menschen
diesseits
und jenseits des Atlantik, die sich dafür einsetzen, den
Menschenrechtsverletzungen,
die von der Scientology-Organisation in den USA und in Europa begangen
werden,
endlich ein Ende zu setzen.
Für das Komitee - Unterschriften |
On the 10th of June 2001 in
Leipzig, Germany,
the Human Rights Award of the
European-American Citizens Committee for Human Rights and Religious
Freedom
in
the USA is given to a citizen of the
Federal Republic of Germany,
former federal Labor Minister,
Dr. Norbert Blüm
• in acknowledgment of his clear words and deeds with which he has
encouraged
and supported victims of the Scientology Organization, thereby setting a
standard
for politicians of all parties;
• in appreciation of his courage to publicly engage the new
totalitarianism
of the Scientology Organization in discussion, thereby reinforcing the
defense
of human rights and the preservation of the freedoms of religion and
opinion in
Europe and in North America;
• and as an expression of our support for all people on this and the
other
side of the Atlantic who are engaged in finally putting an end to the
human
rights
violations being committed by the Scientology Organization in the USA and
in Europe.
For the Committee - signatures |
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