Leipziger Preis
 
 

 

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Dankrede nach der Verleihung des Leipziger Menschenrechtspreises

Von Andreas Heldal-Lund, Leipzig, 18.Mai 2003


Sehr geehrte Mitglieder des Komitees, verehrte Gäste, sehr geehrte Damen und Herren: Danke! Ich bin geehrt und erfreut, den Menschenrechtspreis des Europäisch-Amerikanischen Bürgerkomitees für Menschenrechte und Religionsfreiheit in den USA anzunehmen.

Gestern, am 17. Mai haben wir Norweger unseren Verfassungstag gefeiert um uns an die Unterzeichnung der norwegischen Verfassung von 1814 zu erinnern. Das ist in Norwegen ein besonderer, wichtiger Tag, vielleicht weil wir ein so kleines Land sind. Überall in Norwegen sind Kinder in ihren besten Kleidern zur Musik von tausenden von Blaskapellen herumgezogen, und zahllose Reden sind gehalten worden um uns alle als Norweger daran zu erinnern, daß Freiheit niemals als eine Selbstverständlichkeit aufgefaßt werden sollte.

Norwegens fast 200 Jahre alte Verfassung wurde sehr stark von der französischen Verfassung und der Verfassung der Vereinigten Staaten inspiriert, die nur ein paar Jahre früher verfaßt wurden. Die neue Verfassung hat drei wesentliche Elemente:

  1. Die Souveränität des Volkes: Daß letztlich alle Macht vom Volk ausgeht.
  2. Gewaltenteilung: Vorher hatte der König alle Macht. Nun wurde die Macht geteilt und ausbalanciert zwischen dem König, einem neuen Parlament und der Justiz.
  3. Individuelle Freiheit: Allen norwegischen Bürgern wurden ihre Grundrechte garantiert. Die wichtigsten davon sind die Freiheit der Rede, die Religionsfreiheit und garantierter rechtlicher Schutz.

Heute haben wir uns hier versammelt, nicht um Einzelne wie mich zum Thema zu machen, sondern um uns zu erinnern, wie es Millionen meiner Landsleute gestern gemacht haben, daß all diese Rechte nur zu leicht verloren gehen können und daß zahllosen Menschen solche Grundrechte wie Religionsfreiheit und Redefreiheit immer noch vorenthalten werden.

Was uns aus der ganzen Welt zusammenbringt, trotz unserer verschiedenen Nationalitäten, verschiedenen Sprachen und unterschiedlichen politischen und religiösen Orientierungen ist die gemeinsame starke Überzeugung, daß wir verpflichtet sind, diese Rechte zu bewahren und sicherzustellen, daß sie nicht mißbraucht werden.

Aber wir haben noch etwas gemeinsam: Wir haben diejenigen erkannt, die den schlimmstmöglichen Mißbrauch begehen, und ihnen den Krieg erklärt: Das sind diejenigen Organisationen, Kirchen und Kulte, seien sie religiös oder nicht, die unter dem Schutz genau dieser Rechte - Religionsfreiheit und Freiheit der Rede - diese Rechte mißbrauchen und die ihren Anhängern und ehemaligen Mitgliedern genau diese Rechte bestreiten.

Man könnte fragen: Ist der Schutz dieser Rechte nicht eine staatliche Aufgabe? Sieht nicht die Verfassung von zum Beispiel Deutschland, Norwegen oder den Vereinigten Staaten Ämter und Vorkehrungen zum Schutz dieser Rechte vor?

Ja, das ist vorgesehen. Aber genau hierin liegt auch das Problem: Die Organisationen, gegen die wir uns stellen sind Meister darin, ihre Aktivitäten mit Hilfe genau der Rechte zu tarnen, die unsere Regierungen verpflichtet sind, aufrechtzuerhalten und zu schützen.

Wenn es nicht solche Leute wie uns geben würde: Ganz normale Bürger rund um den Globus mit dem Gefühl einer persönlichen Verpflichtung, darüber zu sprechen und auf den Mißbrauch der grundlegenden Menschenrechte [durch solche Organisationen] hinzuweisen, dann, glaube ich wirklich, könnten sich solche Kulte zu noch viel bedrohlicheren und mißbrauchende Organisationen entwickeln, die eines Tages die Grundlagen unsere demokratischen Gesellschaften selbst bedrohen könnten.

1996 las ich einen Bericht darüber, wie ein norwegischer Ex-Scientologe einen Prozeß anstrengte und gewann gegen die „Church of Scientology“. Der Bericht machte mich so neugierig, daß ich ein ganzes Wochenende damit verbrachte, im Internet zu recherchieren. Was mich überraschte dabei war die Zurückhaltung, die ich bei Leuten fand, die offensichtlich etwas zu erzählen hatten. Ich brauchte nicht lange um zu verstehen, was es war, das sie bremste. Es war ANGST! Angst vor einem organisierten System von Vergeltung und Unterdrückung.

Zu Anfang glaubte ich auch, daß keine denkende Person auf die seltsamen Argumente und naiven Stories solch eines Kults hineinfallen würden. Später entdeckte ich, daß die Church of Scientology ein heimtückisches System von Klügeleien und Denkfallen ist, das schon eine ganze Reihe von aufgeweckten, intelligenten Personen geleimt hat. Ich sah dies an ehemaligen Mitgliedern, die ich mehr und mehr zu respektieren gelernt habe. Einige von ihnen sind persönliche Freunde geworden. Ich erkannte, daß es ebenso mir hätte passieren können - oder Ihnen!

Was als Kraftakt an einem Wochenende begonnen hatte, entwickelte sich in zahllose lange Nächte und ein ständig wachsendes und noch immer zunehmendes Materialsammlung die die Church of Scientology dokumentiert. Aber das waren ganz gewiß keine einsamen Nächte: Was mich motivierte und mich dazu brachte mich von Anfang an zu engagieren waren die Antworten, die ich erhielt und die ich immer noch bekommen: Ich wurde immer und immer wieder kontaktiert von weinenden Eltern aus der ganzen Welt, von Teenagern, die Jahre ihrer Jugend verloren hatten, von Kindern, die erlebt hatten wie ihre Eltern im Griff dieser Organisation verschwanden, von Ex-Mitgliedern in ständiger Furcht vor Rache.

Heute ist Operation Clambake - der Name meiner Internetseite - ein Lebensstil geworden. Ich fühle eine Verpflichtung, die Webseite am Leben zu halten. Aber ich sehe es nicht als eine Last. Es hat mein Leben reicher gemacht, indem es ihm einen Sinn und Zweck gibt. Allein das Gefühl, daß das, was man macht, etwas ändert, macht die Sache wertvoll. Es ändert sich sicherlich nicht für Millionen Leute - das ist nicht mein Revier, aber für die EINZELNEN, die mich jeden Tag kontaktieren.

Ich gebe zu, daß es auch manchmal Zeiten gibt, wo ich es schwierig finde, meine nächtlichen Aktivitäten im Internet mit meinem Tagesjob als Managing Director einer multinationalen Gesellschaft zu vereinbaren; aber meine Erfahrungen sind zugleich wertvoll für meine beruflichen Aufgaben als Führungskraft. Worte sind billig und Werte lassen sich nur zu leicht passiv unterstützen: Man muß seine Werte LEBEN! Das kann ich bestätigen.

Ich bin kein ehemaliger Scientologe. Ich hege keinen Groll gegen die Organisation oder irgendeinen ihrer Vertreter. Ich habe keinen Grund, Möglichkeiten zur Rache zu suchen.

Ich bin ein Humanist. Ich glaube, daß alle Menschen frei sein sollten zu glauben, woran immer sie möchten - einschließlich Scientology.

Was ich aber nicht hinnehmen möchte, weder von der Church of Scientology noch von irgend einer anderen Kirche oder Organisation ist Hinterlist, Mangel an Mitgefühl für die eigenen Mitglieder, aggressiver harter Verkauf, Arroganz, Angriffe auf die Meinungsfreiheit, (juristische?litigiousness) Streitsüchtigkeit, Schikanierung von Kritikern, fehlendes Mitgefühl für Familien und Kindesvernachlässigung und Kindesmißbrauch. Weder von der Church of Scientology, noch von irgend jemand anderem.

Heute möchte ich aber Ihre Aufmerksamkeit auf einen noch größeren Feind richten, den wir, wie ich glaube, auch gemeinsam haben: die GLEICHGÜLTIGKEIT.
Im letzten Jahr hat das Time Magazine drei Frauen zu “Personen des Jahres“ erklärt:

  • FBI Agent Coleen Rowley, die das FBI zur Rede stellte weil es Befunde ignoriert hatte, die auf die terroristischen Angriffe des 11. September hingedeutet hatten;
  • Cynthia Cooper, eine WorldCom Vizepräsidentin, die den Aufsichtsrat der Gesellschaft über Buchhaltungsunregelmäßigkeiten in Höhe von fast 4 Milliarden unterrichtete;
  • Und die frühere Enron Vize-Präsidentin Sherron Watkins, der Memoranden an den Vorsitzenden der Gesellschaft schrieb über die Unregelmäßigkeiten in der Buchhaltung, die später des Zusammenbruch von Enron verursachten.

Diese drei Frauen waren „Whistleblowers“ - Leute, die es wagen offen zu sprechen, wenn sie Ungerechtigkeit oder Unwahrheiten entdecken, und die bereit sind, dafür auch die Konsequenzen zu tragen. Alle drei haben ihre Karriere geopfert für etwas, das ihnen wichtiger war. „Whistleblowers“ sind die wahren Helden des Kampfes gegen die Gleichgültigkeit.. Whistleblowers brauchen unsere Unterstützung. Nicht nur unsere moralische Unterstützung, die sich sehr leicht geben läßt, sondern sie brauchen vielmehr unsere praktische Unterstützung und manchmal sogar eine Zuflucht.

Deshalb möchte ich diesen Preis teilen mit allen zusammen, die es wagen, ihre Meinung zu sagen, mit allen, die Mißbrauch, Betrug und Unwahrhaftigkeit aufdecken, mit allen, die Ungerechtigkeit nicht hinnehmen, sondern etwas dagegen tun, und besonders mit denen, die auch Gefährdungen auf sich nehmen, wenn sie dies tun. Ich glaube, daß die grundlegenden Menschenrechte auf denen unsere modernen Gesellschaften aufbauen, die Rechte, die meine Landsleute in Norwegen gestern gefeiert haben, niemals als Selbstverständlichkeiten angesehen werden dürfen. Wir müssen diese Rechte erringen - immer und immer wieder neu!

Ich danke Ihnen.

Andreas Heldal-Lund

 

2003

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